
Es werde Ruhe
Dass ein Roadtrip über die südafrikanische Garden Route so was wie eine Gondelfahrt durch Venedig ist, wussten WIENERIN-Autorin Marion Genetti und ihre Begleitung Patricia nicht. Sie genossen ihre ungeplante „Hochzeitsreise“ dennoch. Der Honeymoon scheint schließlich auch für Singles.
Wer ist der Mann, wer die Frau?“,
fragt der Enddreißiger mit Zigarettenstummel
im Mund, ohne eine
Miene zu verziehen. Patricia und
ich prusten los. Weil wir uns die
Frage auch schon gestellt haben.
Nicht erst jetzt beim Besteigen des Kanus, sondern schon
tags zuvor, als uns der Schlüssel für die Honeymoon-
Suite überreicht wurde. Der Bootsverleiher löst das
„Problem“ so: „Wer das Auto fährt, kann auch das Boot
steuern.“ Folglich übernimmt Patricia das Paddel. Ich
nehme vorn im Kanu Platz, lehne mich zurück und lasse
mich durch das seichte Flusswasser gondeln – vorbei an
Laubbäumen, deren Äste ins Wasser ragen. Aber wie sich
das in einer emanzipierten Partnerschaft gehört, bin ich
später natürlich zurückgepaddelt ...
Dass meine Freundin Patricia und ich das
perfekte Duo sind, haben wir schon bei der Reiseplanung
bewiesen: Eigentlich wollten wir ja auf Safari nach Namibia.
Weil es dort aber im europäischen Winter wenig
zu sehen gibt, haben wir uns schnell auf einen Roadtrip
an der südafrikanischen Küste geeinigt – entlang der
legendären „Garden Route“. Dass wir damit allerdings
an einem Hotspot für Frischvermählte und glückliche
Paare landen würden, wussten wir nicht. Das schwante
uns erst bei der Ankunft in Kapstadt. Den Schlüssel fürs
Mietauto überreicht uns nämlich ein Herr mit einem
zweideutigen Augenzwinkern: „Wir wünschen eine
sichere Fahrt und eine unvergessliche Zeit!“
Nach einem Abstecher zur Shoppingmall an Kapstadts „Waterfront“ lassen
wir die Metropole hinter uns. Jetzt geht es nur noch
gerade aus durch nahezu menschenleeres Land. Atemberaubend!
Wälder wie in Kanada, Felder wie in der
Mongolei und eine Weite wie in Australien. Erst als uns
beim Füßevertreten eine Schar Sträuße am Zaun entgegenstakst,
wird uns klar: Wir sind in Afrika. Groß sind
die Laufvögel, die ich bislang nur als Handtasche – und
aus dem Zoo – kannte. Zögerlich strecke ich ihnen einen
Muffin entgegen. Erst zieren sie sich, dann schnappen sie
zu. Ein bisschen ziept es, aber was macht man nicht alles
für ein Erinnerungsfoto.
Unsere erste Nacht unter südafrikanischem
Himmel verbringen wir im verschlafenen Nest
Riversdale. Beim Spaziergang durch den Ort am nächsten
Morgen nicken die Passanten in unsere Richtung. Später
führt uns Christopher, Chef de Cuisine und Manager
des De Doornkraal, durch den Weinberg – die Flasche
preisgekrönten Rebensafts, die er uns zum Abschied in
die Hand drückt, werden wir Tage später leeren. Schließlich
wollen wir uns den tierischen Bewohnern des Landes
nüchtern stellen.
Wer schon mal eine „richtige“ Safari gemacht hat,
sei gewarnt: Ein Wildschutzgebiet, „Game Reserve“ genannt,
kann da in puncto Abenteuer nicht mithalten. Die
Suche nach Tieren entfällt, weil die in ihren (zugegeben
weitläufigen) Gehegen schon auf die Besucher warten.
Wer länger nicht im Zoo war und gern mal wieder Löwen,
Giraffen und Nashörner aus der Nähe sehen will, kann
also nicht enttäuscht werden.
Patricia ist es dennoch – ich verspreche ihr, nächstes
Mal geht’s nach Namibia. Dafür gibt’s diesmal
Traumstrände.
Im Vergleich zu den vier
Stunden Fahrt gestern ist der Weg nach Mossel Bay ein
Katzensprung. Nach einer Stunde sitzen wir schon am
Strand und schauen den Surfern beim Wellenreiten – und
aus den Wellen steigen – zu. Anstrengender als gedacht,
aber schöner als erwartet ist der Aufstieg zum Leuchtturm.
Links von uns brechen die Wellen an den Klippen,
rechts haben wir einen wunderbaren Ausblick auf den
Hafen.
Eine Passage aus dem Roman Die Brandungswelle
von Claudie Gallay schleicht sich in mein Gedächtnis:
„Man sagt hier, der Wind sei manchmal so stark, dass er
den Schmetterlingen die Flügel fortreiße.“ Magisch ist
der Moment, ich spiele kurz mit dem Gedanken einfach
hier zu bleiben, für den Rest meiner Tage aufs Meer zu
schauen – und vielleicht einen Bestseller zu schreiben.
Frühmorgens setzen wir
zwei „Uns-wird-schon-schlecht-wenn-wir-den-Kopf-von-links-nach-rechts-neigen“-Reisende uns in einen
Kutter. Der Wettergott meint es gut mit uns. Die See
ist ruhig bei unserer Fahrt nach Seal Island. Hunderte
Seelöwen robben fotogen auf den Felsen und verströmen
dabei einen penetranten Gestank – spätestens nach der
Erfindung der Geruchskamera werden sich die Touristiker
was überlegen müssen. Derweil können sie sich
auf den Lorbeeren eines Eintrags im Guinness Buch
der Rekorde ausruhen: Mossel Bay ist demnach die
„zweitmildeste Stadt der Welt“. Platz 1 belegt ein Ort auf
Hawaii. Als ein Souvenir-Verkäufer uns das erzählt, flackert
der Gedanke ans Hierbleiben noch mal auf. Aber
nix da. Weiter geht’s ins benachbarte Knysna.
Die Reiseführer ü̈berschlagen sich auch hier mit ihren Anpreisungen:
Knysna sei ein „natürliches Paradies von üppigen
Wäldern, ruhigen Seen und goldenen Stränden“,
liest man. Ich kann dem nur beipflichten, muss aber
eines hinzufügen: Die idyllische Lagunenstadt ist ein
Sündenpfuhl. Unser Gastgeber vom Bamboo wirkt zumindest
so, als hätte er sich nie ganz von Woodstock erholt.
Mit roten Äuglein zählt er uns die Restaurants der
Stadt auf. Dass Patricia Vegetarierin ist, bringt ihn etwas
aus dem Konzept. Dass sie auch keinen Alkohol trinkt
(wenn sie Auto fährt), macht ihn zusehends mundtot.
Spätestens als wir dann in der kleinen Einkaufspassage
die T-Shirts mit dem aufgedruckten „iPot“ entdecken,
wissen wir, woher der Rauch in Knysna weht. Auf
Anraten der Bamboo-Chefin, wir haben sie Uschi O. getauft,
fahren wir nach dem Pizzaessen auf einen Kaffee
zum Wochenmarkt. Von der Bar-Terrasse aus beobachten
wir das Treiben. Lächelnde Menschen breiten über
dampfenden Tassen und Klapptischen – mit allem drauf,
was der Dachboden so an Kleinod hergegeben hat – den
neuesten Dorfklatsch aus.
„Du würdest nach einer Woche vor Langeweile sterben“,
liest Patricia meine Gedanken. Da haben wir
aber noch nicht den Strand gesehen: Der ist nämlich
der Hammer und würde mich über Kleinstadt-Mief
hinwegtrösten. Und nach einem Sprung ins Meer bin
diesmal ich es, die zur Weiterfahrt drängt.
Ich locke mit der
Aussicht auf die traumhafteste Herberge, in der wir
auf dieser Reise nächtigen werden. Das Kurland-Hotel
liegt hinter dem Naturschutzgebiet Garden Eden, von
Plettenberg Bay sind es wenige Kilometer Richtung
Landesinneres. Obwohl Hochsaison, turteln auf der
Terrasse mit Blick auf Pool und Grünanlagen nur zwei
Pärchen in den Korbsesseln. Während Patricia durch
den Park schlendernd mit ihrem Liebsten telefoniert –
vermutlich planen sie ihre Hochzeitsreise hierher – mache
ich den einzigen Fehler dieser Reise: Ich entscheide
mich für den Strauß. Und zwar: well done. Man merkt
dem Stück Fleisch an, dass es der sicher hochdekorierte
Koch nur widerwillig durchgebraten hat. Und ich muss
zugeben: Ein bisschen blutiger, wie es sonst serviert
wird, hätte es sicher (noch) besser geschmeckt.
Bei einem Gläschen De Doornkraal vor dem brennenden Kamin fragen wir uns dann,
ob sich unser Glück noch toppen lässt. Selbst unser
Mietauto scheint das Paradies nicht verlassen zu wollen:
Es springt nicht sofort an, als wir am nächsten Tag aufbrechen
wollen. Vielleicht ahnt es ja auch schon – im Gegensatz
zu uns –, was noch auf uns zukommen würde.
In Wilderness erkundigen wir uns nach dem Weg zum
Porcupine Pie. „Erst rechts, geradeaus bis zur Kreuzung,
dann links. Dort seht ihr das Schild.“ Doch da ist weit und
breit kein Wegweiser. Kurzer Anruf beim Lodge-Besitzer.
„Seid ihr auf der Schotterstraße? Ja, dann immer weiter,
auch wenn ihr denkt, es geht nicht mehr.“ Das denken wir
im Übrigen ziemlich oft. Ich habe meine Pilotin selbst im
Kapstädter Kreisverkehr nicht so schwitzen sehen wie
auf dieser steilen Bergstraße. Die Räder drehen durch.
Ich will schon aussteigen und zu Fuß weitergehen. Doch
dann greifen die Reifen wieder.
Oben angekommen sind wir mit den Nerven am Ende. Hausherr
John kennt das schon. Verwundert ist er eher, zwei Frauen vor sich zu haben und kein Honeymoonpaar.
Doch dass es gar nicht so falsch war, das Zimmer lapidar
„für mich und Begleitung“ zu reservieren, weiß ich,
als ich in der mit Rosenblättern gefüllten Badewanne
der Hochzeitssuite liege und auf das Naturreservat
unter mir schaue.
Am nächsten Morgen brechen wir zur Kanu-Tour
auf. Sie endet an einem malerischen Wasserfall und neben
einem Paar, das es sich mit einer Flasche Schampus
im Gras gemütlich macht. Mit einem Grinsen im Gesicht
paddele ich zurück. Frau weiß ja, wann sie stört ...
Nach einer Nacht auf der gemütlichen Waterkloof-
Straußenfarm nahe Heidelberg lenkt Patricia uns zurück
nach Kapstadt. In der 3,5-Millionen-Einwohner-
Metropole sehen wir einmal mehr, wie großzügig dieses
Land mit Schönheit beschenkt wurde. Unten der stürmische
Atlantik, oben der herrschaftliche Tafelberg.
Und dazwischen ganz viel faszinierende Kultur und
exotische Kulinarik. Zum Kap der guten Hoffnung
schaffen wir es diesmal leider nicht. Das machen wir
beim nächsten Mal, schwören wir uns. Und vielleicht
tragen wir dann ja einen blitzenden Ring am Finger ...
Erschienen in: WIENERIN 12/12
Foto: Getty Images