
Schönheit von der Alm
Früher hätte man sie „Kräuterhexe“ genannt. Heute steht Katharina Schmidt mit ihrem Wissen für einen modernen Ansatz in der Naturkosmetik.
Noch ein Stück den Hügel
hoch, eine letzte Biegung,
dann leuchtet auch schon
das gelbe Gemäuer des
Maierlguts. Ein Bächlein
markiert gurgelnd die Grundstücksgrenze,
Kühe weiden auf der Wiese, Gräser
strecken sich der Sonne entgegen – eine
Szenerie wie aus dem Heimatfilm. Eine
blonde Frau mit Flechtfrisur in Jeans
und Trachtenjacke biegt um die Ecke,
wischt sich die Hände an der Hose ab
und streckt die Hand aus. „Hallo, ich
bin die Kathi“, sagt Katharina Schmidt,
einst Stadtkind, jetzt in Flachau im Salzburger
Land ansässig. Da, wo auch im
Hochsommer ringsum schneebedeckte
Berge glänzen – und wo die Schönheit
ihren Ursprung hat. Die Kräuterexpertin
ist nämlich überzeugt: „Gegen jedes
Alltagswehwehchen und Schönheitsproblemchen
ist ein Alpenkraut gewachsen.“
Und so stellt sie Tinkturen aus
Gänseblümchen, Gesichtswasser aus Lavendel
und Haarkuren aus Brennnesseln
her. Alles Inhaltsstoffe, die auch in der
Naturkosmetik immer häufiger Verwendung
finden.
Einiges hat sich Katharina Schmidt
selbst beigebracht. Vieles hat sie während
ihrer Ausbildung an der TEH-Akademie
in Salzburg gelernt. Jahrhundertealt
ist das Kräuterwissen der
Traditionellen Europäischen Heilkunst,
dessen Name etwas irreführend
ist, schließlich beschränkt sich der Bereich
auf eine kleine Region in der
Alpenrepublik.
Die TEH entstand, als
die Ernährungswissenschaftlerin Karin
Buchart 2005 begann, für ihre Doktorarbeit
das alte Heilwissen des Pinzgaus
im Salzburger Land akribisch zusammenzutragen.
Sie sprach mit selbst ernannten
Kräuterhexen und klopfte deren
Know-how wissenschaftlich ab. Die
Wirkungen der Kräuter wurden von der
Europäischen Arzneimittelkommission
ESCOP untersucht und bestätigt. Daraus
entwickelte sich ein gemeinnütziger
Verein, später ein berufsbegleitender
Lehrgang am Wirtschaftsförderungsinstitut
in Salzburg, der das Wissen im
und über das Tal hinaus bekannt machen
will. Zum Unterrichtsstoff gehören Fächer
wie Pflanzenbestimmung, Heilpflanzenanbau
und -verarbeitung sowie
Traditionelle Esskultur. 2010 wurde die
TEH-Akademie zudem von der österreichischen
UNESCO-Kommission zum
immateriellen Kulturerbe, also zu einer
schützenswerten Tradition, erklärt. Das
simple Grundprinzip der Lehre: „Alles,
was man zum Gesundwerden und -bleiben
braucht, wächst bei uns in den Alpen
vor der Tür“, erklärt Katharina Schmidt.
Was ein großer Vorteil gegenüber der bis
dato auch hier sehr populären Traditionellen
Chinesischen Medizin sei. „Ich
bin ein großer Anhänger der TCM. Die
Asiaten sind uns in Sachen ganzheitliche
Medizin Jahrhunderte voraus. Allein
wenn es um Rohstoffe geht, bevorzuge
ich Lokales. Ich glaube nicht, dass es
sinnvoll ist, exotische Pflanzen über weite
Transportwege hier zu uns bringen zu
lassen, wenn bei uns genauso wirksame
Heilkräuter vor der Haustür wachsen.“
Immer mehr gesundheits- und umweltbewusste
Europäer sehen das genauso.
Sie bevorzugen saisonale und
lokale Produkte. Man müsse nur wissen,
welches Kräutlein für welches Leiden
gewachsen sei. Heilend seien dabei
nicht einzelne Inhaltsstoffe, sondern die
Gesamtinformation einer Pflanze – für
die TEH-Jünger ein wesentlicher Vorteil
gegenüber synthetisch hergestellten
Wirkstoffen in Arzneien und Kosmetika.
Im Ort sind Katharina Schmidts
Erzeugnisse ein Renner – ihre Kunden
kommen nicht nur aus den umliegenden
Tälern, sondern auch aus benachbarten
Bundesländern. Einer ihrer Bestseller:
die aus Baumharz hergestellte Pechsalbe,
welche Holzfäller seit jeher als Mittel
zur Wundheilung verwenden. Für
eine ihrer wichtigsten Schönheitspflanzen,
die desinfizierende Ringelblume,
muss sie sich nicht weit entfernen, die
Blume wächst in orange-gelber Pracht
direkt vorm Haus. Während Katharina
Schmidt mit einem Messer die Blüten
köpft, erzählt sie, dass sie eine Spätberufene
in Sachen Naturheilkunde sei. Sie
arbeitete als Lehrerin in Salzburg, als sie
immer mehr rote Flecken auf ihrer Haut
entdeckte, erst an den Armen, dann an
den Beinen. Wie sich herausstellte, eine
Röschenflechte, eine Herpeserkrankung,
die normalerweise in viel jüngeren Jahren
auftritt. Das vom Arzt verschriebene
Kortison lehnte sie ab. Stattdessen experimentierte
die 45-Jährige mit Kräutern aus dem Reformhaus. Bis die Zistrose,
ein antivirales Kraut, das ursprünglich
vom Mittelmeer stammt, schließlich
half.
Sechs Jahre ist das nun her, eine
Zeit, in der in ihrem Leben kein Stein
auf dem anderen blieb. Die zweifache
Mutter kündigte ihren Job in der Stadt,
verließ den Ehemann und zog mit ihrer
jüngeren Tochter auf den elterlichen
Bauernhof. Morgens melkt sie Kühe,
füttert die Brillenschafe und Hühner.
Wenn die Sonne am höchsten steht,
streunt sie durch die umliegenden Wiesen
und Felder und sammelt die Rohstoffe
für ihr Kräuterbusiness.
Der Korb ist randvoll, Zeit zum Einkochen
der Wundsalbe. Die Küche sieht
aus wie fürs Fotoshooting dekoriert. An
der Wand ein Jesuskreuz, auf der Ofenbank
die schnurrende Katze, der Holz-
Herd stammt aus Urgroßmutters Zeiten.
Katharina Schmidt wirft noch ein paar
Scheite ins Feuer, hängt die Jacke über
den Stuhl und macht sich ans Abzupfen
der Blüten. Anschließend gießt sie einen
Liter Bio-Olivenöl in einen Topf und
stellt ihn aufs Feuer. Als es leicht köchelt,
gibt sie die Blüten dazu, später noch Bienenwachs
und Lanolin. Während das
Ganze zu einer Einheit schmilzt, reinigt
sie mit flinken Händen Döschen, auf die
sie mit fein säuberlicher Lehrerinnen-
Handschrift „Ringelblumen-Balsam“ geschrieben
hat. Bezeichnungen wie Salbe
und Creme sind der Beauty- und Pharmaindustrie
vorbehalten. Heilsversprechen
und Diagnosen darf die TEH-Praktikerin
ebenfalls nicht abgeben. Weshalb
sie kreative Namen für ihr Sortiment
gefunden hat: Im kleinen Nebenraum
stapeln sich rund 40 verschiedene Produkte,
darunter eine „Kuss-Tinktur“ mit
Salbei-Extrakten, „Vital-Tropfen“ aus
dem Kraut der Unsterblichkeit und ein
„Entschleunigungs-Sirup“ mit Lavendel.
Immer mal wieder sei ihr ein Onlineshop
durch den Kopf gegangen, berichtet sie,
aber die Idee sei noch nicht ausgereift.
Bis dahin muss die Kundschaft eben die
Anreise auf 1000 Meter Höhe auf sich
nehmen. Rosige Wangen ob der guten
Bergluft inklusive.
Erschienen in: Emotion Slow 2/14
Foto: Shutterstock