
Der Edelpacker
Wenn das Kleid knittert und die Hose Falten wirft, war er wohl gerade verhindert: Ivica Tot-Genz packt die Koffer von Hollywood-Größen und Top-Managern. Sein Wissen über Wäsche ist einzigartig, zumindest unter Männern. Hier gewährt er Einblick in Techniken, Tricks und Tabus.
Es raschelt, es knistert. Mit geübten Handgriffen
rollt Ivica Tot-Genz eine Anzughose
in Seidenpapier ein. „Wenn mal keins
zur Hand ist, kann man auch Küchenpapier
nehmen“, meint der 43-Jährige mit
einem kurzen Blick über die Schulter. Er
grinst, als hätte er soeben die Formel für
den Weltfrieden preisgegeben. Und dann
demonstriert der gebürtige Kroate, der
seit 22 Jahren in Deutschland lebt, wie
perfekt seine Technik funktioniert. Mit
Schwung reißt er die Hose am Bund in die
Höhe und lässt sie wieder auseinanderfallen.
„Sehen Sie, keine Knitter im Stoff,
die bleiben alle im Papier.“
Seit acht Jahren packt Ivica die Koffer
von Hollywood-Größen, Top-Managern
und Reichen aus der ganzen Welt. Für die
Gäste der Suiten (zwischen 700 und 7000
Euro pro Nacht) des Berliner Nobelhotels
Rocco Forte Hotel de Rome ist der Einpack-
Service inklusive. Vor allem Männer
nehmen seine Dienste gern in Anspruch.
„Ich glaube, Frauen mögen es nicht so
sehr, ihr Gepäck in fremde Hände zu geben.
Das ist schon etwas Intimes“, sagt
Tot-Genz, der in tadelloser Anzughose, auf
Hochglanz polierten Schuhen und adrettem
weißem Hemd auch als Gast durchgehen
würde.
Wer einmal in den Genuss seiner Hilfe
gekommen ist, will danach nur noch selten
darauf verzichten. Die Stammkunden
mögen den quirligen Typen mit dem sympathischen
Akzent; es kommt schon mal
vor, dass er unter einem Vorwand („Ein
Knopf ist locker“) gerufen wird, nur weil jemand
ein paar Takte plaudern will. Er
nimmt sich die Zeit, auch wenn er keine
hat. Neben dem Kofferpacken ist er auch
für den tadellosen Zustand sämtlicher
Textilien im Haus verantwortlich, für die
Uniformen der Mitarbeiter ebenso wie für
Vorhänge, Kissen und Lampenschirme.
Ivica Tot-Genz ist noch immer übers Bett
gebeugt, auf dem der Trolley steht, der
befüllt werden soll. Während er Hemden
faltet, Pappkartons zwischen die Lagen
schiebt und alles fein säuberlich in Plastiktüten
verstaut, fasst der Profi die wichtigsten
Pack-Regeln zusammen: Verschaffen
Sie sich Überblick. Sammeln Sie erst
alle Gegenstände, die Sie packen möchten.
So bekommen Sie ein Gefühl dafür, was
Sie wirklich brauchen und welche Koffergröße
geboten ist. Schwere Sachen kommen
nach unten, damit nichts zerdrückt
wird. Rollen ist besser als falten, weil Hosen,
Krawatten, Kleider dabei weniger
zerknittern – am besten in Seidenpapier.
Stopfen Sie die Ärmel des Sakkos ebenfalls
mit Seidenpapier aus. Kleider schlagen
Sie in Plastikfolie, die oben mit zwei
Knoten verschlossen wird, dann rollen
Sie das Ganze. Unterwäsche und Socken
stopfen Sie zum Schluss in kleine Lücken
beziehungsweise in die Schuhe, wo sie
als Schuhspanner dienen.
Was er an seinem Job am meisten
liebt? „Dass ich nie weiß, was und wer mich
heute erwartet“, sagt Ivica Tot-Genz.
So musste er kürzlich ins nahe gelegene
Luxus-Kaufhaus eilen, um für einen Gast
zehn Paar schwarze Pumps zu besorgen.
Ein andermal turnte er im Wäscheraum mit
zwei Besenstielen herum, weil sich der
Kimono einer japanischen Besucherin
partout nicht anders aufdämpfen ließ. Missgeschicke
passieren dem Perfektionisten Tot-Genz aber selten.
Es gibt aber durchaus noch mehr Situationen,
in denen er ins Schwitzen kommt.
Wenn etwa der Gast in einer halben Stunde
zum Flughafen fahren soll, aber leider
vergessen hat, den Code für das verschlossene
Gepäckstück zu hinterlegen.
Oder wenn eine arabische Familie ungeduldig
wartet, während er Schrankladungen
voller Kleidung in 40 Koffer verstauen
soll – oder jemand Gokart-Räder gekauft hat, die absolut nicht ins mitgebrachte
Reisegepäck passen wollen. „Oft bleibt
mir nichts anderes übrig, als mich auf
den Koffer zu setzen, damit ich ihn schließen
kann.“
Prinzipiell bringt den einfallsreichen Mann
aber kaum etwas aus der Ruhe – er ist
gut für den Job gerüstet. Nach der Schule
absolvierte er im damaligen Jugoslawien
eine Schneiderlehre. „Ich habe schon
als Kind gerne mit Stoffen gespielt. Zum
Leidwesen meiner Mutter, deren Hochzeitskleid
ich damals zerschnitten habe.“
Nach der Lehre folgte ein radikaler Wechsel,
Tot-Genz ging zum Militär. „Ich habe
auf dem Flughafen gearbeitet und dort
Fallschirme gewartet, kontrolliert, gefaltet
und unter dem Sitz der Kampfflugzeugpiloten
verstaut. Das war eine große Verantwortung,
Menschenleben lagen in
meinen Händen.“ Um Leben oder Tod geht
es heute nicht, aber die Fähigkeit zu präziser
Arbeit kommt ihm zugute. 1992 zog Tot-Genz nach Deutschland. Er arbeitete
in einer Schokoladen-, in einer Elektronik-
und in einer Nudelfabrik, bevor er
ins Gastgewerbe einstieg. „Ich war im
Laufe der Jahre alles, nur nie arbeitslos.“
Seine vielen Stationen und Erfahrungen
haben Ivica Tot-Genz Menschenkenntnis
gelehrt. Die stellt er gern auf die Probe.
„Wenn ich in ein Zimmer komme, dann
male ich mir gern anhand der Gegenstände
den dazugehörigen Menschen aus.
Wie alt ist er? Wie aktiv ist er? Was hat er
für einen Beruf? Aus welchem Land
kommt er? Ist er Links- oder Rechtshänder?“
Letzteres erkennt er an der Platzierung
der Gegenstände auf dem Nachtkästchen.
Besonders treffsicher sei er
bei der Staatszugehörigkeit.
Ein großes Chaos, und alles riecht nach Weichspüler?
Das kann nur ein US-Amerikaner sein.
Ein Haufen Socken, die nicht zusammenpassen?
Eindeutig ein Brite. Fein säuberlich
geschichtete Basic-Teile? Könnte
auf einen Japaner hindeuten. „In 90 Prozent
der Fälle liege ich richtig.“Für viele
Kunden legt der Profi-Kofferpacker eine
Kartei an, notiert Vorlieben und Sonderwünsche.
„Die Gäste sollen sich bei uns
wie zu Hause fühlen, deshalb ist es wichtig,
dass sie ihre Sachen an dem für sie
gewohnten Platz wiederfinden.“ Und so
schichtet er die Klamotten oft nach Farben
in die Schränke, dann nach Funk tion
und ein anderes Mal nach einer nur für den
Gast erkennbaren, beinahe verschwörerischen
Logik.
Bevor Ivica Tot-Genz den fertig gepackten
Koffer verschließt, legt er ein
kleines Lavendel-Säckchen ganz oben auf
das Seidenpapier. „Die Besucher sollen
sich noch möglichst lange an ihren Aufenthalt
bei uns erinnern.“ Seidenpapier,
Plastiktüten, Lavendelsäckchen – sind das
Utensilien, die der Experte auch verwendet,
wenn er selbst verreist? „I wo!“, meint
er nur und lacht. „Ich mache den Koffer
auf und werfe einfach alles hinein.“
Erschienen in: Lufthansa Exclusive 9/14
Foto: Ragnar Schmuck