
Von Fassaden und Abgründen
Gerti Drassl spielt in der Fernsehserie „Vorstadtweiber“ eine Hauptrolle. Diese startet am Dienstag im Ersten und war in Österreich ein Quotenhit. Aus einem biederen Püppchen wird eine Kämpferin.
Eigentlich ist sie sonst ja auf den großen
Theaterbühnen zwischen
Wien und ihrer Heimat Südtirol zu
Hause. Für die Serie „Vorstadtweiber“ ist Gerti Drassl in die Rolle der
schrulligen Maria Schneider geschlüpft,
die sich vom biederen Püppchen zur gewieften
Kämpferin für ihre Rechte entwickelt.
Ein Gespräch mit der 37-Jährigen
über Verwandlungen, Korsetts als Gesellschafts-
Phänomene, Drehen während der
Schwangerschaft und anderes.
Als angepasste Hausfrau, die plötzlich
ganz andere Seiten von sich zeigt, ist Maria
Schneider der heimliche Star unter den
„Vorstadtweibern“. Woran, glauben Sie, liegt das?
Vermutlich weil sie eine
enorme Wandlung durchmacht, so facettenreich
ist und voller Überraschungen
steckt.
Wie sieht die Wandlung aus?
Lange Zeit versucht das graue
Mäuschen, ihr bürgerliches Dasein aufrechtzuerhalten.
Bis ihr klar wird, wie
sehr sie getäuscht wurde. Welchen Preis
sie für ihr Vorzeigeleben bezahlenmusste,
welche Bedürfnisse brach lagen. Die will
sie jetzt wieder beleben. Sie sucht Intimität
in den Armen eines Callboys, lässt
aber zugleich nichts unversucht, ihren
Ehemann zurückzugewinnen.
Wobei einmal Strapse und Sexspielzeug
zum Einsatz kommen. Hatten Sie Schwierigkeiten
mit diesen Requisiten?
Das war schon eine aufregende
Szene. Zumal ich im Hinterkopf hatte,
dass das im Hauptabendprogramm ausgestrahlt
wird. Sprich: Kinder werden es
sehen, genauso wie die Stammtischrunde
meines Vaters.
Was waren sonst Herausforderungen an
dieser Figur?
Die massive innere Verwandlung.
Und die immer größer werdende Diskrepanz,
von dem, was in ihremInneren vorgeht,
und dem, was sie nach außen hin
zeigt. Das war ein spannendes Maskenspiel.
Haben Sie irgendwo persönliche Parallelen
zu Maria Schneider entdeckt?
Wenige. Die extreme Fassade und
das Aufrechterhalten derselben, das ist
mir fremd. Wobei ich das Gefühl habe,
dass dieses Phänomen in unserer Gesellschaft
zunimmt. Wir sind in einer Präsentierwelt
angekommen, viele stecken sich
selbst in ein Korsett. Bei Maria wurden die
Schnüre so lange zugezogen, bis sie gerissen
sind. Ein weiterer Unterschied: Um zu
ihrem Recht zu kommen, geht sie ungewöhnliche
und oft umständliche Wege,
ich bin da vergleichsweise direkt.
Gibt’s denn gar keine Gemeinsamkeiten?
Doch, die Sehnsucht nach Liebe
und nach einer glücklichen Partnerschaft.
Aber ich denke, die wohnt jedem
von uns inne. Was uns zudem verbindet,
ist die Lust auf Süßes. Ich würde nicht so
weit gehen zu behaupten, dass man mit
einem Stück Malakofftorte alle Probleme
aus der Welt schaffen kann, aber ich esse
ebenfalls für mein Leben gern.
In Österreich lief die Serie Anfang des Jahres
und war ein enormer Quotenhit. War
das absehbar?
Nein, im Gegenteil. Wir sind nicht
gerade mit Pauken und Trompeten an den
Sendestart gegangen. Die Kritiken vorab
waren ziemlich hart. Erst als die Zuschauerzahlen
immer weiter in die Höhe
schnellten, hat sich das Blatt gewendet.
Anfänglich wurde der Serie Klischeehaftigkeit
vorgeworfen.
Können Sie das nachvollziehen?
Schon, aber ich sehe das anders.
Der Autor hat einmal gesagt, er habe sich
an den Shakespearschen Königsdramen
orientiert, demkann ich einiges abgewinnen.
Lügen, Betrug, Intrigen, Mord, die
menschlichen Abgründe treten allesamt
gehäuft auf.
Schätzen Sie, dass das Format in Deutschland
ähnlich gut ankommen wird?
Schwer zu sagen. Sprachlich dürfte
demnichts im Wege stehen. Was den Humor
betrifft, glaube ich nicht, dass es eine
Frage der Nationalität ist. Ich schätze, es
ist vielmehr eine Geschmackssache.
In Österreich
konnte der Serie ja auch nicht
jeder etwas abgewinnen.
Vielleicht war sie deshalb ein
so großer Erfolg, weil sie
durchaus kontrovers diskutiert
wurde.
Bislang waren Sie eher einem
eingefleischten Theaterpublikum
bekannt –
werden Sie neuerdings auf
der Straße angesprochen?
Nein, gar nicht.
Was vermutlich daran
liegt, dass sich Maria
auch optisch stark von
der Gerti unterscheidet.
Das zeigt Ihre Wandlungsfähigkeit.
Wie haben
Sie eigentlich Ihr
schauspielerisches Talent
entdeckt?
Mich hat es von klein an auf die Bühne gezogen.
In meiner Kindheit und Jugend
habe ich Ballett gemacht und das
Rampenlicht gesucht. Leider bin ich irgendwann
an meine körperlichen Grenzen
gestoßen, es war klar, dass es nicht für
eine Profikarriere reichenwürde. Ansonsten
war ich familiär vorbelastet. Mein Vater
hat in seiner Freizeit Theater gespielt.
Bei uns in Südtirol hat fast jedes Dorf eine
Bühne. Man wächst damit auf. In der Pubertät
ist der Wunsch stärker geworden,
Schauspielerin zu werden.
Also ging es nach dem Abitur sofort ab
nach Wien ans Max-Reinhardt-Seminar?
Das wäre der Plan gewesen. Leider
habe ich die Aufnahmeprüfung beimersten
Anlauf vergeigt.
Und es ein Jahr später noch mal versucht ...
Ja, wobei ich nicht sofort wusste,
ob ich den Mut dafür finden würde. Ich
habe an mir und meinem Weg als Schauspielerin
gezweifelt. Mich oft gefragt: Will
ich das wirklich? Schaffe ich das? Stehe ich
das durch? Auf einer Paris-Reise habe ich
dann doch den Entschluss gefasst, mich
demganzen ein weiteres Mal zu stellen.
Was war passiert?
Ich habe keine Ahnung. Nichts
Großes. Vielleicht war es einfach derUmstand,
dass ich mich dort viel
mit Kunst beschäftigt habe,
ständig in Museen war. Und
plötzlich wusste ich, dass ich
für mein Ziel kämpfen muss.
Egal, wie oft ich zu dieser
Prüfung antrete, ich würde
es schaffen. Zurück in Wien
habe ich Schauspielunterricht
genommen, mich vorbereitet
und wurde genommen.
Wie war die Ausbildung?
Ich hatte Glück,
nicht zuletzt mit meinen
Lehrern. Zudem
bin ich erstmals in eine
Gruppe gekommen, in
der jeder das Gleiche
wollte. Das war ein weiterer
Kick: das Ensemble,
dieses Miteinander. Das ist
bis heute das, was mich am meisten
interessiert: das Zusammenspiel. Als
Schauspieler bist du nie ein Einzelkünstler,
du bist immer Teil eines
Teams – mit dem Regisseur, dem
Kameramann, den Schauspielkollegen.
Was ebenfalls schön war:
Ich habe noch während der Ausbildung
angefangen zu arbeiten.
Ihr Vater als passionierter Laien-
Darsteller war bestimmt stolz ...
Ich denke schon. Vor kurzem
haben wir erstmals nach
vielen Jahren wieder gemeinsam
gespielt, am Theater an der
Josefstadt in Wien. Er hat als
70-Jähriger auf einer großen
Bühne debütiert. Das war ein
unvergessliches Erlebnis – und
ich war stolz auf ihn.
Sie erwarten gerade Ihr zweites
Kind, gleichzeitig sind die
Dreharbeiten für die nächste
„Vorstadtweiber“-Staffel im
Gange. Inwiefern beeinträchtigt
Sie das?
Gar nicht. Mir geht es
gut. In meiner ersten
Schwangerschaft habe ich
mehr oder weniger durchgearbeitet.
Das tue ich jetzt
auch. Es musste nur das
Drehbuch entsprechend
adaptiert werden.
Erschienen in: Aachener Nachrichten 5/15
Fotos: ARD/ORF/MR Film/Petro Domenigg