
Das Maß der Dinge
Barack Obama trägt einen, ebenso Tom Hanks, und in Deutschland hat ihn Gerhard Schröder populär gemacht: den Brioni-Anzug. Beim Besuch der Produktionsstätten in Süditalien lässt sich herausfinden, warum der Anzug das Must-have für staatsmännische Auftritte ist, was der neue Chefdesigner umkrempeln will – und weshalb James Bond ein Tabu-Thema ist.
Geheimagent James Bond ist der
Prototyp eines Helden, unverwundbar,
smart, sexy. Als Pierce
Brosnan 1995 in „Golden Eye“ zum ersten
Mal in den Dienst Ihrer Majestät trat, war
sein Erscheinungsbild makellos, ob im
Dinnerjacket, im Tuxedo, im Einreiher, bei
Verfolgungsjagden, beim Sprung von
Brücken, beim Frauenverführen. Kein
Wunder: Er trug Brioni. Für die italienische
Modefirma ging die Rechnung auf. Wer
über das nötige Kleidergeld verfügte, wollte
sich spätestens jetzt in den Stoff hüllen, aus
dem Heldenanzüge gemacht sind. Man
könnte fast von einem „Bond-Effekt“
sprechen, wenn rund um den Kinostart die
Umsätze der Film- und auch anderer
Herrenausstatter nach oben schießen.
Die Frage, warum man nach elf Jahren
und fünf Filmen die Zusammenarbeit
beendete und 007 seitdem Tom Ford trägt,
wischt Firmenchef Francesco Pesci wie
einen Stoß unbrauchbar gewordener Akten
vom Tisch. „Wir sind nicht vorrangig
Filmausstatter, wir ziehen reale Helden an,
Staatsleute, Manager, Adlige, Künstler“,
sagt der Mann, der seit 2010 die Firmengeschicke
lenkt und selbst eher die Erscheinung
eines Buchhalters besitzt. Ruhig, aber
bestimmt. Bodenständig, aber visionär.
Viel lieber spricht der CEO, dessen
Vater bereits 38 Jahre lang im Unternehmen
gearbeitet hat, von den ruhmreichen
Anfängen der Firma. Von 1945, als sich die
Welt gerade von den Kriegswirren erholte
und als zwei Italiener, ein Schneider und
ein Designer, den Mut hatten, der britischen
Zunftelite die Stirn zu bieten. „Made in Italy
ist heute ein Label, damals war das gar
nichts“, weiß Pesci. Die beiden eröffneten
in Rom ein Modeatelier und gaben ihm den
Namen Brioni, nach den kroatischen Inseln
Brijuni, die einer der beiden Firmengründer
besucht und bewundert hatte. Später wurde
die Produktion in die Kleinstadt Penne in
den Abruzzen verlagert.
Als nahezu blasphemisch galt es damals,
dass die Neulinge Seide für Herrenanzüge
verwendeten – die war bis dato Frauenkleidern
vorbehalten. „Es war wie in der
Kirche zu fluchen“, meint Pesci. Akribisch
waren sie in der Herstellung, innovativ in der
Präsentation. Und so schrieb Brioni 1952
Geschichte, als im Florentiner Palazzo Pitti
erstmals Männer über den Laufsteg schritten:
groß gewachsene, attraktive Mitarbeiter
– darunter auch der Brioni-Manager Angelo
Vittucci. Vor allem die amerikanischen Besucher
waren hingerissen, es war der Beginn
eines weltweiten Erfolgsanzugs. Ganz Hollywood
trug nun Brioni: Clark Gable, Cary
Grant und Henry Fonda zählten zu den prominenten
Fans der ersten Stunde.
Dabei ist es gar nicht so einfach, einen echten
Brioni zu erkennen. Selbst der Firmenboss gibt
zu: „Auch ich musste es erst lernen. Das Geheimnis
liegt im Knopfloch.“ Pesci deutet auf
sein Jackett. „Die Form mit dem runden Auge
ist so perfekt und sauber von Hand genäht,
das macht keiner mit so viel Akribie wie wir.“
Profis erkennen die Anzüge außerdem an „ihrer
perfekten Passform, am vollendeten Sinn
für Proportionen und natürlich an den edlen
Stoffen“. Das ist das Stichwort für Brendan Mullane,
den neuen Creative Director im Haus, der
gleich durch die Produktionshalle führen wird. Er
ergänzt: „Wer einen Brioni trägt, hat keine Problemzonen
mehr.“ Basta.
Mullane ist Brite wie Bond, hat aber mehr
von einem Mr. Bean, der den zu klein geratenen
Anzug gegen ein Maßmodell getauscht hat.
Einer, dem der Schalk im Nacken sitzt und der
eine fast schon kindliche Freude an seinem Job
zeigt. Nähmaschinen rattern, Dampfbügeleisen
zischen, Hammerschläge tönen. Rund 1100 Mitarbeiter
schneidern hier jährlich knapp 100 000
Herrenanzüge. Mullane: „Als ich zum ersten Mal
hier reinkam, machte ich innerlich Luftsprünge,
es ist wie in einem Candy-Shop für mich. Meiner
Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ich habe
eine Idee, und die Schneider setzen sie mühelos
um.“ Die ersten Einfälle, die der 37-Jährige seit
seinem Antritt vergangenen Sommer umgesetzt
hat, im Schnelldurchlauf: „Die Silhouette
wurde verschlankt, indem die Schultern gekürzt
wurden, der Armansatz und die Taille wurden
angehoben, die Hosen verschmälert, in Millimeterarbeit.“
So erscheine der Körper länger,
schmaler, gewähre aber vollen Komfort und Bewegungsfreiheit,
so der Designer, der schon für
Hermès, Louis Vuitton und Alexander McQueen
entworfen hat und zuletzt für die Männerlinie von
Givenchy verantwortlich zeichnete. Für Brioni
trat er die Mission an, dem Label den Sex-Appeal
der fünfziger Jahre zurückzugeben.
Männer und Frauen schneiden, sticheln
und stopfen an ihren Arbeitsplätzen, die sich in
langen Reihen durch die Halle ziehen. In jedem
Ready-to-wear-Anzug von Brioni stecken knapp
300 Arbeitsschritte und 5000 bis 7000 Handstiche.
Die Konfektionsware, die hier gefertigt
wird, ist später in einer der 77 Brioni-Boutiquen
in der New Yorker Fifth Avenue, am Rodeo Drive
in Beverly Hills, in St. Moritz, Hongkong oder in
Paris ab 3000 Euro erhältlich. Wer es gern noch
etwas exklusiver mag, ersteht einen individuell
gefertigten Anzug. Das teuerste Modell enthält
die seltene südamerikanische Vikunja-Wolle, die
Naht ist aus Weißgoldfäden, der Preis liegt bei
rund 37 000 Euro. Der Trend gehe aber zu einem
Mittelding, einem Made-to-measure-Modell, „su
misura“, wie die Italiener sagen. Das Ganze hat
etwas von einem Baukasten, Brendan Mullane
spricht von der „neuen Männer-Couture“. Es
wird mit vorgefertigten Schlupfteilen gearbeitet,
von denen der Kunde so viele anprobiert, bis
der Anzug perfekt sitzt.
Aber zurück zur Champions League. Hunderte
VIPs zählt die Kartei von Brioni, deren
Inhalt wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird.
Doch wer einen Blick hinter den Schreibtisch
des spartanisch eingerichteten Büros
des Firmenbosses riskiert, erkennt das eine
oder andere Gesicht. Ein Bild von Woody
Allen hängt da, von Jack Nicholson und
auch von Horst Tappert. Angesprochen
auf einen weiteren bekannten deutschen
Träger, Ex-Kanzler Gerhard Schröder, verrät
Pesci immerhin: „Er hat unseren Bekanntheitsgrad
in Deutschland enorm gesteigert.“
Beim Rundgang durch die Hallen
stechen noch ein paar Promi-Namen ins
Auge. Auf einer Kleiderstange baumeln
Schnittmuster aus Pappe, auf die mit
schwarzem Edding geschrieben wurde: Arnold
Schwarzenegger, Tom Hanks, Richard
Gere. Und auch beim wohl mächtigsten Anzugträger
der Welt, dem US-Präsidenten,
weiß man, dass er auf italienischen Zwirn
made in Penne vertraut. Vor ein paar Jahren
hat ein Windstoß die Innenseite seines
Jacketts freigelegt und die Herkunft seines
Anzugs gelüftet. Was den einfachen vom
ganz besonderen Kunden unterscheidet?
Er muss nicht ins Geschäft, ein Master-
Tailor kommt per Privatjet zum Vermessen
und zur Anprobe.
Im vergangenen Jahr wurde Brioni
vom Luxuskonzern Pinault-Printemps-
Redoute (PPR) übernommen. Wie ist das
für die stolzen Italiener, nun unter französischer
Flagge zu produzieren? In den Augen
Pescis blitzt es auf, es folgt ein kompakter
Grundsatzvortrag: „Ich habe jahrelang in
Japan gearbeitet; als ich nach Tokio kam,
habe ich gesehen, wie nahe wir Europäer
uns stehen, wie ähnlich wir uns sind. Und:
Wir haben durch diesen Zusammenschluss
viele Vorteile, können stärker auf dem
Markt auftreten. Der neue Mutterkonzern
gibt uns die Mittel, die wir brauchen, um zu
expandieren und um unser Potenzial voll
ausschöpfen zu können.“
Expandieren hat für Pesci auch viel
mit Experimentieren zu tun. Er will weg vom
klassischen Brioni-Geschäft, hin zu einer
kompletten Herrenausstattung, mit Strick,
Leder, Accessoires, an einer Sonnenbrillenkollektion
wird gerade gearbeitet. Nicht
zuletzt seine Frau habe ihn auf diesen Weg
gebracht. „Sie hat einmal zu mir gesagt:
‚Von Montag bis Freitag siehst du aus wie
ein König, am Wochenende wie ein Bettler.‘
Ich schätze, es geht vielen Männern so.
Das will ich ändern. Mit funktionaler Outdoor-
und Freizeitbekleidung, die alles mitmacht,
aber gleichzeitig elegant aussieht.“
Und wer weiß, vielleicht kleidet Brioni ja
dann wieder einen Actionhelden ein,
in Function-Wear statt Einreiher.
Erschienen in: Lufthansa Exclusive 5/13
Fotos: Alessandro Albert, Giovanni Gastel, Brioni