
Wo die Schönheit wächst
Isländische Wissenschaftler nutzen eine nobelpreisgekrönte Entdeckung und produzieren damit ein Anti-Aging-Serum, das sich blendend verkauft und Beauty-Multis nervös macht.
Fast wie im Chemieunterricht: Buchstaben,
Ziffern und mathematische Zeichen
erstrecken sich über drei Zeilen
auf dem Whiteboard. Nie käme man auf die
Idee, dass diese kryptische Aneinanderreihung
einige Millionen Euro wert sein soll.
Fünf Jahre lang wurde daran getüftelt, es
wurde geprüft, verworfen, modifiziert, bis die
Formel irgendwann aufging. Und was, wenn
eine übereifrige Putzfrau sie einfach mal
wegwischt? Björn Örvar, einer der Entwickler,
lacht und zeigt auf das Schild unter der
Schrift: „Nicht reinigen“ steht da, bis jetzt habe
sich noch jede dran gehalten. Fotografiert
werden dürfe sie auch nicht, fügt der 54-jährige
Wissenschaftler hinzu. Überdies
habe diese Kritzelei ja auch nur symbolischen
Wert. Sie erinnere an die harten Jahre
ab 2001, als er und sein Forscherfreund mit
der Suche nach dem Heiligen Gral der
Schönheit begannen – und nicht immer sicher
waren, ob sie ihn je finden würden.
Der Zugangscode zum Jungbrunnen
prangt nun in roten Lettern an der Wand des
Besprechungsraums von Sif Cosmetics im
Großraum Reykjavík, der Hauptstadt Islands,
im Land der Elfen und Trolle, wo Märchen
bisweilen wahr zu werden scheinen.
Und wo der junge Beautykonzern eine neue
beachtenswerte Branche etabliert hat, neben
der bodenständigen Fischerei, der Aluminiumindustrie
und dem Tourismus. Während
der Sonnenschein die Luft gerade auf
die bisherige Jahreshöchsttemperatur von
13 Grad erwärmt und die
nächste dunkle Nacht noch viele Wochen
entfernt liegt, lässt sich der smarte Mikrobiologe
in einen Stuhl fallen, faltet die Hände
und beginnt zu erzählen.
Es waren einmal zwei junge Isländer,
die im Ausland, der eine in Schweden, der
andere in Kanada, ihr noch druckfrisches Diplom in die Tasche steckten und
eine aberwitzige Idee hatten. Sie wollten
nicht, wie es die meisten ihrer Kommilitonen
taten, Organe reproduzieren oder sich sonst
um die Leiden der Menschen kümmern. Sie
wollten sie verschönern. Ihre Ausgangslage
war die Entdeckung von Wachstumsfaktoren,
1986 mit dem Nobelpreis für Medizin
ausgezeichnet. Die Forscher wollten ein
Verfahren entwickeln, bei welchem sie in
Gerste den menschlichen Wachstumsfaktor
EGF (Epidermal Growth Factor) herstellen
können, einen Botenstoff, der die Zellerneuerung
ankurbelt. Dafür luden sie von der
(frei zugänglichen) Gendatenbank das entsprechende
Protein herunter und übersetzten
es so lange, bis es vom Getreide verstanden,
akzeptiert und reproduziert wurde.
Das dauerte ein halbes Jahrzehnt, der Rest
war ein Klacks, vergleichsweise. Dem hautstraffenden
EGF aus der Gerste wurden
acht weitere Inhaltsstoffe beigemengt – fertig
war das revolutionäre Anti-Aging-Produkt,
reinstes Schönheitselixier, das seitdem
unter dem Sub-Label Bioeffect
verkauft wird. Was es von der Konkurrenz
unterscheidet? „Vergleichbare Produkte
werden oftmals aus kleinen Organismen wie
Bakterien hergestellt, aus Meeresalgen oder
exotischen Pflanzen und Gesteinen, sie
beinhalten zum Teil schädliche Chemikalien,
meist bestehen sie aus über hundert Inhaltsstoffen“,
weiß Björn Örvar.
Ihr Produkt sollte so rein und so wissenschaftlich
sein wie möglich. Von Beginn
an wurden klinische Tests durchgeführt, bis
heute kommen täglich Frauen ins Haus, um
ihre Hautveränderungen untersuchen zu
lassen. Mit verblüffenden Ergebnissen. Bei
Frauen zwischen 30 und 40 Jahren hat sich
der Collagenanteil, ein Gradmesser für die
Elastizität der Haut, um 30 Prozent erhöht.
Kein Wunder also, dass bereits gut ein Drittel
der Isländerinnen über 30 nur mehr Wasser
und Bioeffect an ihre Haut lassen. Die
erstaunlichen Resultate bestätigen auch andere
Untersuchungen. So hat Ronald L.
Moy, damaliger Präsident der American
Academy of Dermatology und Professor für
Dermatologie an der UCLA, 2011 bescheinigt:
„Das Serum ist imponierender als alles,
was mir in 30 Jahren Berufserfahrung
für Anti-Aging in die Hände gekommen ist.“
Aber nicht nur die Anzahl der Ingredienzen,
auch das Sortiment soll klein gehalten
werden. Derzeit gibt es lediglich vier Bioeffect-
Produkte. Der Bestseller ist das EGFSerum.
Nur wenige Tropfen der Flüssigkeit
werden in die Haut massiert, die Verjüngung
geschieht im Schlaf. Daneben finden sich
im Regal ausgewählter Parfümerien noch
eine 30-Tage-Intensiv-Kur, eine Bodylotion
und eine Tagescreme. Alle Produkte werden
in Reykjavík hergestellt. Damit sind 40
Mitarbeiter beschäftigt, davon 13 Wissenschaftler.
Sechs Angestellte sind für das
händische Verpacken und das Versenden
zuständig. Die Anti-Aging-Pflege verkauft
sich weltweit. Nicht selten kommt es zu Engpässen,
weil die Isländer mit dem Produzieren
(und dem Verschicken) nicht nachkommen.
Im Pariser Nobelkaufhaus Colette ist das EGF-Serum das meistverkaufte
Pflegeprodukt. Auch unter den Stars
spricht sich die Wirksamkeit der Wunderwaffe
herum: Oscar-Preisträgerin Marion
Cotillard und Schauspielerin Uma Thurman
schwören darauf, bei Angelina Jolie soll angeblich
auch ein Fläschchen im Badezimmer
stehen. Vermutlich nutzt Brad Pitt ebenfalls
die glasklare Flüssigkeit, denn das
Produkt ist genauso für Männerhaut geeignet.
„Das liegt an seiner Wirkweise, aber
auch an der Geruchlosigkeit“, sagt Örvar,
„zudem mögen Männer den wissenschaftlichen
Background und das neutrale Design.“
Das schlichte Packaging entspricht dem Firmencredo,
es ist in Weiß mit zarten grünen
Streifen gehalten – Wissenschaft und Natur.
Apropos Natur. War es allein der persönlichen
Wurzeln wegen, dass sich die
Forscher mit ihrem Unternehmen in Island
niederließen? „Nein, das ist der perfekte
Standort dafür“, meint Örvar, „die Energiekosten
sind niedrig, da wir auf geothermale
Energie zurückgreifen können, die obenfernt
liegt. Am Ende der Besichtigungstour
meinte sie begeistert: „Ich wünschte, ihr
würdet das Serum in Literflaschen anbieten.“
Das Glashaus steht als Hightech-Betrieb
inmitten einer kargen Landschaft, die
an einen Mondkrater erinnert – Licht, Wärme
und CO2-Levels werden vom Computer
gesteuert. Die kernigen Minifabriken, die in
3000 Jahre alter Vulkanerde stecken, produzieren
rund um die Uhr den begehrten
Botenstoff, der teurer ist als Gold und Diamanten.
Rund 700 Samen werden benötigt,
um ein 150-Milliliter-Fläschchen zu füllen. In
den Wintermonaten leuchtet das 2000-Quadratmeter-
Glashaus so hell, dass man es
schon beim Landeanflug auf Reykjavík ausmachen
kann. Abgesandte der internationalen
Beauty-Multis zieht es nun immer öfter
in den hohen Norden, um beim Kosmetik-
Winzling anzuklopfen. Bislang brachte das
Wedeln mit den Schecks keinen Erfolg, Örvar
und seine Kollegen behalten ihre Formel
erst mal für sich. Sie sorgen dafür, dass dieses
isländische Märchen weitergeht.
drein umweltschonend ist. Es wird hierzulande
kaum gegen Pestizide gespritzt, dadurch
gibt es wenige Krankheiten bei den
Pflanzen, zudem haben wir guten Zugang zu
Wasser. Es gibt hochgebildete Menschen,
wirtschaftspolitisch beste Strukturen sowie
Offenheit gegenüber neuen Technologien.“
Vor ein paar Monaten hat Dorrit Moussaieff,
die Frau des isländischen Präsidenten,
das Gewächshaus besucht, das etwa
50 Kilometer von der Firmenzentrale entfernt
liegt. Am Ende der Besichtigungstour
meinte sie begeistert: „Ich wünschte, ihr
würdet das Serum in Literflaschen anbieten.“
Das Glashaus steht als Hightech-Betrieb
inmitten einer kargen Landschaft, die
an einen Mondkrater erinnert – Licht, Wärme
und CO2-Levels werden vom Computer
gesteuert. Die kernigen Minifabriken, die in
3000 Jahre alter Vulkanerde stecken, produzieren
rund um die Uhr den begehrten
Botenstoff, der teurer ist als Gold und Diamanten.
Rund 700 Samen werden benötigt,
um ein 150-Milliliter-Fläschchen zu füllen. In
den Wintermonaten leuchtet das 2000-Quadratmeter-
Glashaus so hell, dass man es
schon beim Landeanflug auf Reykjavík ausmachen
kann. Abgesandte der internationalen
Beauty-Multis zieht es nun immer öfter
in den hohen Norden, um beim Kosmetik-
Winzling anzuklopfen. Bislang brachte das
Wedeln mit den Schecks keinen Erfolg, Örvar
und seine Kollegen behalten ihre Formel
erst mal für sich. Sie sorgen dafür, dass dieses
isländische Märchen weitergeht.
Erschienen in: Lufthansa Exclusive 10/13
Foto: Brooks Walker