
Wer schön sein will, muss leiden
Wer im Ausland lebt, lernt. Diesmal: Beauty-Behandlungen in Ghana. Seit fast einem Jahr lebt BRIGITTE WOMAN-Mitarbeiterin Marion Genetti in Westafrika und muss erfahren, dass ein Friseurbesuch nichts für Zimperliche ist.
Ein „Naaa“ geht wie ein
Raunen durch den Raum.
Als ob sich ein Frauenchor
auf seinen Auftritt einstimmt.
Wer kein Dagbani spricht, kann
sich mit diesen zwei Buchstaben
durch so manche Lebenslage und
jeden Smalltalk in Nordghana retten.
Es funktioniert als Antwort
auf fast alles. „Guten Morgen!“
„Naaa.“ – „Wie geht’s deinem
Mann?“ „Naa.“ – „Einkäufe erledigt?“
„Naaa.“ Und natürlich
schallt ein „Naaa“ durch den Friseursalon
mit dem Cristiano-Ronaldo-
Poster und den vielen Spiegeln
an den Wänden, sobald ihn
jemand betritt. Vorsichtig rutsche
ich mit meinem Po nach rechts,
die Neuankommende presst sich
zu uns fünfen aufs Dreier-Sofa.
Haut an Haut – das mögen die
Afrikaner, zumindest scheint es
sie nicht zu stören.
Vom Sofa aus schaue ich fasziniert
zu, wie eine der Friseurinnen
Nadel und Faden nimmt und
mit gekonnten Schwüngen halbmeterlange
pechschwarze Haarsträhnen
in die raspelkurze Mähne
der Kundin näht. Daher kommt
es also, dass alle um mich herum
so aussehen, als wären sie aus
einer
Vidal-Sassoon-Werbung,
denke ich und sinke noch tiefer in
die Kissen. Am liebsten würde
ich das Stroh auf meinem Kopf
verstecken,
das dringend einen
Kamm, eine Wäsche und einen
guten Schnitt braucht.
Inzwischen schaut die Dame vor
dem Spiegel aus wie ein Yorkshire-
Terrier. Die Stirnfransen
reichen ihr bis zum Bauchnabel.
Damit das nicht so bleibt, werkelt
die Fachfrau schon mit einer Rasierklinge.
Blitzschnell ist aus der
künstlichen Langhaarpracht ein
cooler Pagenschnitt geworden.
Ohne Blutvergießen. Dasselbe hoffe ich für die dralle Mittvierzigerin,
deren linker Fuß mit einer
messerscharfen Klinge von
Hornhaut befreit wird. Meine
Freundin Sonja hatte da weniger
Glück. Um die vom vielen Barfußlaufen
entstandenen Schrunden
loszuwerden, hatte sie sich in die
Hände eines etwa zehnjährigen
Wander-Fußpflegers begeben.
Erst verbrühte er sie mit kochendem
Wasser, dann schnitt er
ihr auch noch in die Zehe. Immerhin
kostete die „Behandlung“ nur
50 Pesewas (rund 25 Cent).
Die Kundin ahnt nichts von meinen
Gedanken. Sie ist mit Essen
beschäftigt. Mit der rechten Hand
greift sie immer wieder in eine
orangefarbene Schüssel und futtert
Fufu – einen Maniokbrei, der
in Linsensuppe schwimmt. Bloß
keine Zeit ohne Kalorienaufnahme
vergeuden. Diätgeplagte Westlerinnen
mögen es kaum glauben,
aber es gibt den gelobten Kontinent,
auf dem Speckrollen, kräftige
Oberarme und ausladende
Hinterteile das Maß aller Schönheit
sind. Und wo eine Restaurantkette
mit dem Slogan „Eat
and grow fat“ wirbt. Wer es sich
leisten kann, hilft sogar chirurgisch
nach und lässt sich – bei
örtlicher Betäubung – Silikonkissen
ins Hinterteil pflanzen.
Klein und zart und – in meinen
Augen – zu bemitleiden ist das
Mädchen, das seit 20 Minuten mit
dem Kopf nach hinten über einer
Plastikschüssel hängt. Die Angestellte,
die ihr die Haare trocknen
sollte, ist spurlos verschwunden.
Aber Wehklagen gibt es bei afrikanischen
Frauen genauso wenig
wie Privatsphäre am Bankschalter.
Wer eine halbe Stunde nach
der Entbindung mit dem Mofa
heim- und am nächsten Tag
wieder aufs Feld fahren kann,
sollte auch einen Nackenkrampf
ohne Murren überstehen.
Jetzt werde ich zum zweiten „Becken“
gewunken. Ich setze mich
auf den Plastiksessel, rutsche bis
zum Stuhlrand und lege den Nacken
auf die Kante der Waschschüssel.
Dann der Schock! Das
Wasser hat die Temperatur eines
Gebirgsbachs aus den Alpen. Hätte
ich doch auf meine Freundin
Sonja gehört. Erstens hatte sie
mich davor gewarnt, überhaupt
hierher zu kommen, und zweitens
angeboten, mir die Spitzen zu
schneiden. Seit sie sich die Haare
hat flechten lassen – „es hat sich
angefühlt, als würden mir die
Haare büschelweise ausgerissen“
–, macht die Krankenschwester
endgültig einen Riesenbogen um
jeden ghanaischen Verschönerungsversuch.
Nach dem Waschen
reißt die Friseurin mit
einem feinzinkigen Kamm an
meiner naturgewellten Krause.
Eh klar, sie ist ja Kunstfasern gewohnt.
Tränen steigen mir in die
Augen. Wenn das Sprichwort
„Wer schön sein will, muss leiden“
Berechtigung hat, dann in
einem afrikanischen Beauty-Salon,
das weiß ich jetzt auch.
Es muss gegen sieben Uhr sein.
Die Sonne ist schon untergegangen.
Plötzlich ist es zappenduster.
Stromausfall. Mal wieder. Ungefähr
einmal in der Woche esse
ich mein Abendbrot bei Kerzenschein.
Fluchtgedanken. Ich
könnte doch morgen noch mal
vorbeischauen, sage ich zu „meiner“
Friseurin, die im Schein
einer Taschenlampe die Zehennägel
einer anderen Kundin bearbeitet.
Sie schüttelt resolut den
Kopf. Ich soll mich hinsetzen,
sie wäre gleich fertig.
Und dann ist es so weit: Links hält
sie die Taschenlampe. Rechts die
Schere. Es dauert weniger als eine
Minute, und meine Haare sind ab.
15 Zentimeter. Mindestens. Ich
weiß nicht, ob ich weinen oder
lachen soll. Ich entscheide mich
für Letzteres. Das Lachen vergeht
mir aber am nächsten Morgen.
Der Spiegel zeigt: Meine Haare
sind auf einer Seite um ein gutes
Stück länger als auf der anderen.
Ich nehme eine Schere und begradige
sie. Immerhin ging der Haarschnitt
gestern aufs Haus – eine
Werbeaktion für Erstkundinnen.
Erschienen in: Brigitte WOMAN 7/12
Foto: Mauritius Images